Yoani Sánchez Portrait
Vor fünf Jahren konnte Yoani Sánchez nicht mehr länger schweigen. Ihr gelang es, ihren eigenen Blog zu eröffnen – trotz erheblicher Schwierigkeiten, denn der Internetzugang wird vom Regime in Kuba äusserst restriktiv gehandhabt und streng überwacht. Private Internetanschlüsse sind – ausser für Privilegierte des Regimes – verboten. Yoani Sánchez’ Blog «Generation Y» wurde zu ihrer persönlichen Kampfzone, mit der sie der Welt zeigen will, wie das Leben in Kuba nach über 50 Jahren «Revolution» und Einparteienherrschaft in Wirklichkeit aussieht. Ihr Blog bietet einen ungefilterten Einblick in die kubanische Realität hinter der Propagandafassade, welche die Staatsmedien mit ihrem Pressemonopol trotz wirtschaftlichem Kollaps des Landes mit allen Mittel aufrechtzuerhalten versuchen. Yoani schreibt öffentlich über Beamtenwillkür und Repressionen des Staates. Auf die Gefahr hin, verhaftet zu werden.
Yoani veröffentlichte ihre kritischen Texte von Beginn an unter ihrem richtigen Namen. Sie war damit die erste Bloggerin der Insel, die sich nicht durch ein Pseudonym schützte. Die zierliche Frau strahlt unglaubliche Energie und Entschlossenheit aus: «Ich merkte, dass ich mich meiner Verantwortung als kubanische Bürgerin stellen muss. Ich will in Kuba leben. Aber in einem anderen Kuba.»
Anfänglich ignorierte der Staatsapparat ihre rebellische Stimme. Doch als die Anzahl ihrer Leser auf der ganzen Welt die Millionengrenze überschritt, wechselte das Regime schlagartig seine Strategie. Am gleichen Tag, als Raul Castro als neuer Präsident Kubas die internationale Menschenrechtskonvention unterschrieb, wurde die Zugriffsmöglichkeit im ganzen Land auf Yoanis Blog gesperrt. Doch Yoani lässt sich nicht unterkriegen. Sie kopiert ihre Blogeinträge seither auch auf DVDs oder druckt sie auf Papier, damit auch ihre Landsleute an die Informationen über die aktuellen Ereignisse in Kuba gelangen.
Mit ihrem Bekanntheitsgrad wachsen auch die Repressionen gegen Yoani. Sie wird überwacht, bespitzelt und ihr Telefon wird abgehört. Yoani wurde am staatlichen Fernsehen als amerikanische Spionin verleumdet. Sie wurde auf der Strasse verschleppt und brutal zusammengeschlagen. Vor einer langen Gefängnisstrafe schützt sie nur ihre weltweite Bekanntheit. Auch sind zwischen Gegnern und Befürwortern ihrer Regimekritik auf ihrem Blog hitzige Debatten entbrannt. So viel Mut und Zivilcourage von einer gewöhnlichen Kubanerin macht vielen Angst. Yoani wird verdächtigt, beschimpft – und bewundert. Doch sie lässt sich durch nichts von ihrem Engagement abhalten.
Trotz ihrer Entschlossenheit ist bei Yoani Sánchez manchmal auch ihre Sorge spürbar, dass ihr durch ihre Aktivitäten noch Schlimmeres zustossen und auch ihr 15-jähriger Sohn Teo und andere Familienmitglieder in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Sie weiss, dass das System unbarmherzig zurückschlägt, wenn man es wagt, den Mund aufzumachen.
Ihr unermüdliches Engagement für eine Öffnung Kubas ist in der ganzen Welt auf Resonanz gestossen und hat ihr viel Anerkennung eingebracht. Dafür bezeichnete Fidel Castro Yoani Sánchez öffentlich als «Schande für Kuba». Neben Auszeichnungen als Vorkämpferin für Menschenrechte und Pressefreiheit und zahlreichen Journalistenpreisen – darunter den renommierten spanischen «Ortega y Gasset» – wurde sie vom «Time Magazin» unter die 100 einflussreichsten Persönlichkeiten gewählt und 2011 von Hillary Clinton und Michelle Obama als «Women of Courage» ausgezeichnet. Doch bisher konnte Yoani Sánchez keinen einzigen dieser Preise persönlich in Empfang nehmen. Das kubanische Regime verbietet ihr zu reisen. Sie ist wegen ihrem Engagement faktisch zu einer Gefangenen der Insel geworden.
Da die bekannteste Bloggerin Kubas wie ihre Landleute keinen privaten Internetanschluss besitzt, muss Yoani täglich ins Stadtzentrum fahren, um von einem der spärlichen öffentlichen Internetanschlüsse in den Touristenhotels ihre kritischen Blogeinträge ins Netz zu stellen. Eine zeitraubende Aktion, da der öffentliche Verkehr in Havanna wie überall auf der Insel seit Jahren sehr schlecht oder gar nicht funktioniert. Vor einiger Zeit hat Yoani die Möglichkeit entdeckt, ohne Internetanschluss per SMS ihre Gedanken auf Twitter zu veröffentlichen. Mehrmals täglich berichtet sie nun über aktuelle Vorfälle in Kuba, die keinen Eingang in die staatlichen Medien finden. Und über 200'000 hören ihr zu.
Yoani Sánchez‘ Blog wird monatlich von über 14 Millionen Menschen gelesen. Freiwillige übersetzen ihre Texte aus dem Spanischen in viele Sprachen. Seit Yoanis Blog von einer solch breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird, diskutieren täglich tausende von Lesern aus der ganzen Welt in der kubanischen Blogosphäre über ihre Beobachtungen, Forderungen und die Situation in Kuba. Eine bisher unvorstellbare Entwicklung in einem Land, wo die Leute gelernt haben, aus Angst vor Denunzianten und Bespitzelungen zu schweigen.
Als der politische Gefangene Orlando Zapata Tamayo 2010 im Hungerstreik starb, löste dies eine Kettenreaktion aus. Yoani trug die Stimmen des Protests mit ihrem Blog in die Welt hinaus und löste damit die Verurteilung der kubanischen Regierung durch das EU-Parlament und weltweite Solidaritäts-Kundgebungen aus. Die kubanische Regierung sah sich gezwungen, viele politischen Gefangenen freizulassen. Yoani Sánchez‘ Kampf für Menschenrechte und die Presse- und Meinungsfreiheit in Kuba geht nach diesem Erfolg mit neuer Energie weiter und wird von einer immer grösser werdenden Gruppe von Bloggern in Kuba unterstützt.