Ory Okolloh – Blackwomenpower in Afrika

Mit Hilfe ihres Internet-Tools «Ushahidi» ermöglicht Ory Menschen auf der ganzen Welt, eine Stimme zu erhalten, die sonst nicht gehört würde. Und hat damit weltweit Erfolg. „Ushahidi“ wurde zur Wahlbeobachtung in verschiedensten Ländern eingesetzt, half den Menschen nach dem Erdbeben in Haiti, ihre Familienangehörigen wiederzufinden und ermöglicht es Millionen von kenianischen Slumbewohnern in Kibera, auf den Landkarten dieser Welt einen Platz zu erhalten.

Vor acht Jahren, während ihres Jura-Studiums in Harvard, begann Ory mit dem Bloggen. Denn Ory hat sich zum Ziel gesetzt, die Entwicklung und Demokratisierung Kenias, dem Land mit dem zweithöchsten Korruptions-Index der Welt, mit Hilfe des Internets zu fördern und Afrika mit dem Rest der Welt zu vernetzen. In Nairobi kämpfen allein in Kibera, dem grössten Slum Afrikas, eine Million Menschen täglich ums Überleben. Hier entzündeten sich auch die blutigen Unruhen anfangs 2008, die das ganze Land ins Chaos und Elend stürzten. Die junge Anwältin stammt aus einer kenianischen Mittelschichtfamilie, doch ihr Ehrgeiz und die Unterstützung ihrer Eltern und der Gemeinschaft hatten es ihr ermöglicht, in Amerika zu studieren. Ory schloss das Studium mit Bestnoten ab. Die Anwaltskanzleien in Washington D.C. rissen sich nach ihrem Uni-Abschluss um die junge Rechtsanwältin. Doch Ory entschloss sich, nach Afrika zurückzukehren, und verpflichtete sich bei der «Human Rights Commission» in Nairobi für ein Jahr als Anwältin, um in ihrer Heimat den Kampf für Rassengleichheit, Menschenrechte und Demokratie zu unterstützen.

Ory lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Südafrika und pendelt zwischen Nairobi und Johannesburg hin und her. Die Liebe hat sie in die gefährlichste Stadt der Welt gebracht. Auf ihrem Blog «Kenyan Pundit» schreibt sie über Höhen und Tiefen ihres Alltags in Johannesburg und Nairobi und kommentiert die Politik und die gesellschaftliche Situation Kenias. Auch während den letzten Präsidentschaftswahlen Ende 2007 war sie voller positiver Erwartungen nach Nairobi gereist. Um mit 30 Jahren das erste Mal in ihrem Leben abstimmen und ihr Bürgerrecht ausüben zu können. Doch die Regierung manipulierte die Wahlen, und es brachen bürgerkriegsähnliche Unruhen im sonst so stabilen Land aus. Als Kenia im Chaos versank, bloggte Ory 72 Stunden lang fast ununterbrochen «live» aus Nairobi, um der Welt die sich überstürzenden Ereignisse während den dritten freien Wahlen in Kenia unzensiert zu übermitteln.

In der ganzen Stadt kam es zu gewaltsamen Protesten, blutigen Zusammenstössen mit der Polizei und zu rassistisch begründeten Massakern unter den verschiedenen Ethnien. Ory war mit ihrer Familie während Tagen im gemieteten Appartement eingeschlossen, ohne zu wissen, wie lange sie in dieser Situation zusammen mit ihrer kleinen Tochter ausharren müssen. Denn, bei einer improvisierten Strassensperre von einer der randalierenden und plündernden Gruppen angehalten zu werden und von der falschen Ethnie zu sein, kam einem Todesurteil gleich. Ory aktualisierte die Wahlergebnisse stündlich und berichtete von den Unruhen, den Toten und der bürgerkriegsähnlichen Situation im ganzen Land. Tausende von Kenianern in aller Welt haben die Wahlen über Orys Blog verfolgt, ihre Einträge und die Geschehnisse kommentiert und an die Vernunft der Kriegsparteien appelliert. Als die Regierung während eines dreitägigen Medien-Blackouts den Fernseh- und Radiostationen nach dem vermuteten Wahlbetrug die Berichterstattung verbot, war Orys Blog eine der wenigen Stimmen, welchen es gelang, Informationen aus dem Land nach aussen zu tragen. Dann war Orys Blog plötzlich tot. Erst 12 Stunden später fand sie einen Weg, ihren Blog wieder zu aktivieren. Doch die Warnung war unmissverständlich.

Ory entwickelte aus der Notsituation heraus mit zwei befreundeten Bloggern das Internet-Tool «Ushahidi», auf dem alle gemeldeten Gräueltaten und Unruhen umgehend erfasst wurden. Die Betroffenen konnten per SMS oder E-Mail ihre Erlebnisse direkt veröffentlichen, und die Krisenherde  wurden auf einer Landkarte lokalisiert. Um den Menschen im Land eine aktuelle Übersicht über die gefährlichen Gebiete und Unruheherde zu ermöglichen. Und damit Hilfs- und Friedenstrupps und NGOs zu Hilfe eilen konnten. Mit «Ushahidi» sollen aber auch alle Massaker, Vergewaltigungen und Flüchtlingsströme festgehalten werden, damit die Opfer ein Gesicht und eine Geschichte bekommen und nicht vergessen werden. Kofi Annan gelang es, ein Friedensabkommen zwischen den zwei Kontrahenten auszuhandeln, doch leben tausende von Vertriebenen bis heute in Flüchtlingscamps.

Ory führt ihren Kampf für Kenia, trotz des herben Rückschlags durch diese Ereignisse, unvermindert weiter und baute «Ushahidi» zu einem Hilfsmittel für Krisensituationen und Wahlbeobachtungen in der ganzen Welt aus. Aber auch um Menschen, deren Anliegen bisher ignoriert wurden, eine Stimme zu verleihen.

Einen ersten Durchbruch gelang Ory, als «Ushahidi» beim «Netsquared Challenge» als weltweit bestes soziales Internet-Projekt ausgezeichnet und bei seiner Weiterentwicklung unterstützt wurde,  „… da dieses neue Internet-Tool einen tiefen Einblick in Ereignisse bietet, welche die Gesellschaften rund um den Globus erschüttern und es die Nutzung der Technik für soziales Engagement fördert“. Das World Economic Forum (WEF) in Davos zeichnete Ory für die Erfindung von „Ushahidi“ als  „Technology Pioneer“ aus.

In Orys anderem politischen Blog «Mzalendo», den sie mit einem kenianischen Blogger vor einigen Jahren ins Leben gerufen hat, steht die politische Lage Kenias im Mittelpunkt. Auf diesem Blog wird die Politik der jungen Demokratie, die immer wieder von blutigen Unruhen, Korruptionsskandalen und Putschversuchen erschüttert wird, kritisch beobachtet und werden die parlamentarischen Debatten erstmals transparent gemacht. Denn die öffentliche Presse hat die Regierungsaktivitäten bisher von ihrer Berichterstattung vollständig ausgeklammert. Niemand hatte den Mut, sich diesem heiklen Thema anzunehmen. Immer wieder versuchen Parlamentarier, Ory und ihren Blogger-Kollegen mit massiven Drohungen einzuschüchtern, denn sie merken, dass «Mzalendo» zu einer immer schwieriger zu ignorierenden moralischen Instanz in der kenianischen Politik geworden ist. Doch Ory setzt ihren Kampf für die Demokratisierung in ihrem Land weiter fort und will bei den nächsten Präsidentschaftswahlen, die voraussichtlich 2013 stattfinden, wieder von der vordersten Front berichten.

Ory gehört zur neuen Generation gebildeter, selbstbewusster afrikanischer Frauen, die trotz vehementem Widerstand der Traditionalisten ihren Weg gehen. Und welche die Doppelmoral, Unterdrückung und Korruption in den afrikanischen Ländern mit ihren Blogs anprangern. Die kritische Bloggerin und Juristin wird mehrmals jährlich von verschiedenen internationalen Organisationen eingeladen, um als Expertin und Referentin auf der ganzen Welt zu Themen wie «Citizen Journalismus», «Chancen der modernen Kommunikation für Afrika» und auch immer wieder zur Lage in Kenia zu sprechen. Seit 2011 arbeitet sie als Policy Manager für Afrika bei Google und setzt grosse Hoffnungen in die zunehmende Verbreitung des Internets auf dem afrikanischen Kontinent. Ory gilt als eine der wichtigsten jungen Stimmen Afrikas.

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