Hintergründe zur Pressefreiheit in China 2012

Veröffentlicht am 12. März 2012 durch Reporter ohne Grenzen

Die rapide Zunahme des „Teilnehmer basierten Internets” und seine Auswirkungen auf die sozialen und politischen Debatten machen es den chinesischen Zensurbehörden von Tag zu Tag schwerer, ihre Arbeit zu tun. Härtere Kontrollen und härteres Vorgehen gegen Internetnutzer und Soziale Medien sind symptomatisch für die zunehmende Sorge des Regimes über die potenziellen Auswirkungen des Arabischen Frühlings und des Internets als Nährboden für Veränderungen.

Obsessive Kontrolle als Mittel gegen das Phänomen des Arabischen Frühlings 

China mag das weltweit ausgeklügeltste Zensur- und Überwachungssystem des Internets besitzen, aber es stösst an seine Grenzen. Um alle Risiken einer Ansteckung durch Protestbewegungen zu verhindern, versucht das Regime alle Referenzen zum Arabischen Frühling und „Occupy Wall Street“ aus dem chinesischen Internet, dem „Chinese Net“, zu entfernen. Blogs und Mikro-Blogs wurden geschlossen und entsprechende Suchbegriffe blockiert. Es ist nun unmöglich, nach dem Wort „occupy“ in Kombination mit dem Namen einer chinesischen Stadt im Internet zu suchen, beispielsweise: “Occupy Beijing” (????).

Die Vollversammlung der Kommunistischen Partei Chinas, die „kulturellen Reformen“ gewidmet war, diente in Realität dazu, weitere Zensurmassnahmen gegen das Internet zu legalisieren. Die CCP verabschiedete Richtlinien, um „Sicherheit“ zu garantieren und den „Einfluss der chinesischen Kultur“ zu verbreiten. Diese repressiven Massnahmen wurden mit dem Ziel begründet, ein „gesundes Internet“ für künftige Generationen zu bewahren. Das Gesetz, das verbietet, „Gerüchte“ zu verbreiten, dient einzig der chinesischen Regierung als Vorwand, regierungskritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und illegale Verhaftungen zu rechtfertigen.

Das Regime hat Internet-Anbieter zudem aufgefordert, sehr teure Internet-Nutzer-Verfolgungs-Software zu installieren. Um ihre Kontrolle über die Internet-Nutzung zusätzlich zu verstärken,  führt das Regime eine Art wirtschaftliche Zensur ein, indem es Internetcafés zur Installation dieser teuren Software zwingt, was sich die meisten nicht leisten können. Andernfalls dürfen sie keinen Internetzugang mehr anbieten.

Einladung zum „Tee trinken“

... ist eine gängige Umschreibung der Einladung auf eine Polizeistation. Im Moment löst die Zensur in China eine Verhaftungswelle von Bloggern und Internet-Nutzern aus. Willkürliche Inhaftierungen, unfaire Prozesse, unmenschliche Haftbedingungen und hohe Gefängnisstrafen haben sich jüngst multipliziert, vor allem gegen Cyber-Dissidenten. 78 sind zurzeit im Gefängnis wegen ihrer Online-Aktivitäten, was China zum weltweit grössten Gefängnis für Internet-Nutzer macht.

Die Liste der Opfer umfasst:

  • Nobelpreisträger Lui Xiaobo, der immer  noch im Gefängnis ist
  • Cyberdissident Chen Xi (??) und Chen Wei (??), die zu je 11 bzw. 9 Jahren Haft wegen “Subversion” verurteilt wurden
  • Cyber-Dissident Li Tie, der zu 10 Jahren Gefängnis wegen „Umsturzes“ verurteilt wurde
  • Liu Xianbin wurde zu einer 10-jährigen Haftstrafe wegen „Anstiftung zum Umsturz“ verurteilt
  • Menschenrechtsaktivist und Cyber-Dissident Govruud Huuchinhuu wurde im Gefängnis misshandelt
  • Die Anwältin Ni Yulan (???)  und ihr Mann Dong Jiqin (???) warten auf ihr Urteil
  • Internet-Nutzer Hu Di (??) wurde gewaltsam in eine psychiatrische Klinik interniert

Die Dissidenten, die freigelassen wurden wie Ai wei wei, Wang Lihong (???), Zheng Yichun (???), Ding Mao (??), Ran Yunfei (???), Wang Yi, Chen Guangcheng und Hu Jia, sind seither Opfer von Verfolgungen und konstanter Beschattung und stehen oft unter Hausarrest.

Der Blogger und Aktivist Wen Yu Chao, der in Hong Kong lebt und mutige Statements auf dem Internet für die Pressefreiheit in China veröffentlicht, wurde mehrmals bedroht und eingeschüchtert. Sein Gmail-Konto wurde von Hackern angegriffen, und es wurden Hetzkampagnen gegen ihn im Netz lanciert.

Die Familie vom Anwalt und Menschenrechtsaktivisten Gao Zhisheng befürchtet das Schlimmste, da er seit April 2011 spurlos verschwunden ist. Anfangs Januar 2012 wurde sein Bruder darüber informiert, dass Zhisheng im westlichen Xinjiang Gefängnis sei. Doch Verwandte, die ihn besuchen wollten, bekamen keine Besuchserlaubnis.

Mikro-Blogs heben ab

Offiziellen Angaben gemäss, gab es in China Ende 2011 über 513 Millionen Internetnutzer, das sind 38,3% der Bevölkerung. 356 Millionen davon nutzen das Internet via ihre Mobiltelefone und gut die Hälfte von ihnen führt einen Mikro-Blog.

Die Mikro-Blog Revolution, die Veröffentlichung von Meinungen und Verbreitung von Informationen, die von Mikro-Blogs stammen, hat zu harten Reaktionen des Regimes geführt. Die Polizei beschuldigte das chinesische Pendant zu Twitter, „Weibo“, einen „schlechten Einfluss auf die Gesellschaft“ zu haben. Die führenden chinesischen Internet-Anbieter wie Sina Corp (Besitzer der Mikro-Blog-Website Sina Weibo), Baido (eine Suchmaschine) und Tencent (Besitzer des QQ Messanger Service) erklärten sich damit einverstanden, die Regierungsdirektiven bezüglich der Internet-Überwachung anzuwenden. Diese Geschäftsvereinbarungen bezüglich Internet-Pornographie, Internet-Betrug, Verbreitung von Gerüchten und falschen Informationen haben dazu geführt, dass die Mikro-Blogs von nun an nur noch mit einem Moderator, der alles kontrolliert und zensiert, geführt werden dürfen, was aber bisher noch nicht gelungen ist.

Weiter versuchen die chinesischen Autoritäten, die Anonymität der Nutzer von Mikro-Blogseiten aufzuheben. Ab 16. März 2012 sind Nutzer aller Mikro-Blog-Sites in China verpflichtet, ihren richtigen Namen anzugeben. Pseudonyme sind verboten. Wer sich nicht daran hält, darf die Einträge anderer Nutzer lesen, selbst aber keine Einträge mehr veröffentlichen. Wie dieses Identifikations-System (??, “shimingzhi”) konkret angewendet werden soll, wird zurzeit erprobt.

Informationsblackout mit Hilfe sozialer Netzwerke vereitelt

Der chinesische Zensurapparat hat alles daran gesetzt, die Verbreitung von Informationen über einen Aufstand in der kleinen Stadt Wukan zu verhindern. Die lokale Regierung unterdrückte die Demonstrationen von Bauern gegen Landenteignungen brutal. Die Tötung des Anführers der Aufständischen führte zu einer Protestwelle tausender Bürger und  wurde über soziale Netzwerke verbreitet. Die Behörden verhängten daraufhin ein Internet-Informationsblackout über die ganze Stadt. Sie blockierten Suchbegriffe wie „Wukan“, zensierten alle Twitter-Einträge, entfernten Videos und Bilder der Proteste auf Sina und Tencent aus dem Internet. Doch den Bauern war es trotzdem gelungen, auf ihre Not aufmerksam zu machen und ihren Protest in die Welt hinauszutragen. Peking sah sich gezwungen, mit ihnen über die Enteignungen zu verhandeln. Lin Zulian, ein Anführer der Proteste, wurde am 16. Januar 2012 zum Chef der Kommunistischen Partei Wukans ernannt.

Als im Juli 2011 das Propaganda Departement versuchte, ein Informationsverbot über den Unfall eines Hochgeschwindigkeitszuges mit 40 Toten zu verhängen und die Medien dazu anhielt, nur über die gute Arbeit der Behörden nach dem Unfall zu berichten, löste dies ein Welle der Entrüstung auf Weibo aus, und Millionen von Nutzern verlangten eine Stellungnahme der Regierung über die Sicherheit der Züge in China.

Die Online Mobilisierung geht weiter: einige Beispiele

In der Stadt Dalian gingen zehntausend Demonstranten dank einem Aufruf über Weibo auf die Strasse, um gegen eine Chemiefabrik zu demonstrieren. Sie wurde daraufhin geschlossen.

Der „Wächter des Tai Sees“, Wu Lihong, wurde verhaftet, weil er die Verschmutzung des Sees auf dem Internet anprangerte. Er wird immer noch beschattet, sein Internetzugang wurde gesperrt, aber seine Veröffentlichungen zwangen die Regierung, Massnahmen gegen die Verschmutzung einzuleiten.

Während Ran Yunfeis Inhaftierung gründeten Twitter-Nutzer einen Blog, auf dem sie seine Einträge zur Verbreitung ins Englisch übersetzten.

Eine grossangelegte Internet-Kampagne wurde lanciert, um Ai Wei wei bei der Bezahlung einer Busse von 15.22 Millionen Yuan (rund 2.4 Millionen USD) wegen angeblichen Steuerbetrugs zu unterstützen. Mit Hilfe eines Internet-Fundraising steuerten 20'000 Leute Beiträge bei, mit der die Hälfte der Busse bezahlt werden konnte. Viele Internet-Nutzer stellten ein Nacktfoto von sich ins Netz, als Ai Wei wei wegen eines einzigen Fotos, das ihn und eine Gruppe von Menschen nackt zeigt, der „Pornographie“ angeklagt wurde.

Regionale Diskriminierung: Lokale Zensur

Als Reaktion auf die Unruhen in Tibet und der Inneren Mongolei, verschärfte das Regime seine Repressionen:

Im Januar 2012 verhängte die chinesische Regierung ein Kommunikations-Blackout, um die Berichterstattung über die brutale Niederschlagung der Proteste in Tibet zu verhindern. Unabhängigen und ausländischen Medien wurde der Zugang in die betreffenden Gebiete verweigert, und es wurden gezielt Falschinformationen verbreitet. Der Internetzugang wurde gesperrt, und alle Hinweise auf die Proteste wurden gelöscht. Lokale Netzwerke wurden am stärksten zensiert, um eine lokale Mobilisierung zu verunmöglichen. Die Websites der Tibetischen Exilgemeinde sind noch immer unzugänglich, so auch tibetische Blogs und Diskussionsforen wie Sangdhor.com und Rangdrol.net.

Die Strategie der chinesischen Machthaber, gewisse Provinzen vom Zugang zu den Medien und dem Internet abzuschneiden und sie damit zum Schweigen zu bringen, ist nicht neu. Tibet war schon mehrmals Opfer harter Restriktionen seiner Kommunikationsmöglichkeiten. Xinjiang wurde nach ethnischen Unruhen 2009 für Monate von der Aussenwelt abgeschnitten.

Im Mai 2011 wurde eine Informationssperre im Internet über die Demonstrationen in der Inneren Mongolei verhängt, die eine Reaktion auf den Tod eines mongolischen Hirten waren. Viele mongolische Websites riefen zum Protest gegen die Informationsspeere auf, worauf seit dem 27. Oktober 2011 Sites wie Boljoo, Mongolian BBS und Medege gesperrt sind. Cyber-Dissident Hada und seine Familie sind seither im Gefängnis, und seine Verwandten werden eingeschüchtert.

Die offizielle Strategie: Propaganda, Cyber-Krieg und die Unterbindung jeglicher Störungen

Als Reaktion auf die mongolischen Proteste wurde das Internet von Informationen überschwemmt, die von „50 Cent“-Bloggern verbreitet wurden, Bloggern die von der Regierung angeheuert und bezahlt werden. Ihre Nachrichten lauteten zum Beispiel: „Liebe Mitstudenten und Freunde, es war nur ein Verkehrsunfall. Gewisse Leute mit unlauteren Absichten versuchen, es als ethnischen Konflikt darzustellen, es habe etwas mit Öl- und Gas-Vorkommen zu tun. Die Regierung nimmt den Fall sehr ernst (...), wir zählen darauf, dass unsere Mitstudenten den Gerüchten keinen Glauben schenken (..)“.

Das Regime versucht das letzte Wort zu haben: es gibt an, 40'000 Mikro-Blogs zu betreiben, auf denen „saubere“ Informationen verbreitet werden.

Die chinesische Armee hat laut der Tageszeitung „Global Times“, die von Agence France-Press zitiert wurde, eine Elite-Einheit zur Vereitelung von Cyber-Attacken aufgebaut. Im August 2011 veröffentlichten die Sicherheitsexperten von McAfee eine Liste von Cyber-Angriffen, die seit 2006 geführt worden waren. Einmal mehr steht China im Verdacht, hinter den Attacken zu stecken, wie auch bei den Angriffen gegen Google. Als Reaktion auf die Selbstverbrennung eines jungen tibetischen Mönchs im August 2011, lancierten die chinesischen Behörden einen Cyber-Angriff auf tibetische Medien.

Das Regime startete laut Global Voices eine Offensive gegen Software-Programme (VPN), die in China immer häufiger genutzt werden, um die Internet-Zensur zu umgehen. Es wird angenommen, dass die „chinesische Internet-Mauer“ es möglich macht, den Datenfluss von jedem einzelnen Computer, also jeder lokalen IP Adresse zu kontrollieren und zugleich den Zugriff zum World Wide Web zu unterbinden. Multinationale Konzerne haben daraufhin Richtlinien für ihre Mitarbeiter erlassen, keine VPNs mehr zu benutzen und ausländische Internetsites nur zu konsultieren, falls sie im Zusammenhang mit ihrer Arbeit stehen.

Am 19. Oktober 2011 verlangten die USA Klärung der „Internet-Einschränkungen in China“. Jiang Yu, die Sprecherin des Departements für Auswärtige Angelegenheiten wies die Anfrage zurück: “Wir können nicht akzeptieren, dass unter dem Vorwand des „freien Internets“ sich ein Land in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes einmischt. Die Regierung Chinas fördert und unterstützt das Internet und gewährleistet die Meinungsfreiheit seiner Bürger“.

Obwohl die chinesische Regierung ihren eisernen Griff auf das Internet nicht lockert, wird sie vom enormen Potential des „Teilnehmer basierenden Internets“ überrannt, und die Spannungen zwischen dem Regime und den Cyber-Dissidenten nehmen zu. Die Zeit des Wandels, die mit dem Wechsel an der Spitze von Hu Jintao zu seinem Nachfolger Xi Jinping ihren Höhepunkt erreichen wird, wird voraussichtlich keine Entspannung bringen – und noch viel unwahrscheinlicher – den Chinesischen Frühling.

Für weitere Informationen auf Englisch:
http://en.rsf.org