Hintergründe zur Pressefreiheit im Iran 2012

Veröffentlicht am 12. März 2012 durch Reporter ohne Grenzen

Die Ankündigung der Lancierung des iranischen „Nationalen Internets“ löste weltweite Reaktionen aus. Die Behörden haben zudem die Zensur intensiviert und ihre technischen Möglichkeiten zur Überwachung des Internets ausgebaut. Einzelpersonen und ganze Gruppen von regierungskritischen Internetnutzern wurden verhaftet, um regierungskritische Netzwerke zu zerschlagen und Blogger und Journalisten einzuschüchtern. Zum ersten Mal wurden vier Internet-Nutzer zum Tode verurteilt, drei von ihnen könnten jederzeit hingerichtet werden. Irans schon bisher harte Repressionen wurden noch brutaler.

Zum Tode verurteilt wegen ihrer Internet-Aktivitäten

Zum ersten Mal wurde gegen Internet-Nutzer die Todesstrafe ausgesprochen. Am 29. Januar 2012 bestätigte die iranische Farsnews agency, die enge Verbindungen zu den Revolutionsgarden hat, das Todesurteil gegen Saeed Malekpour, einem Iraner, der in Kanada lebt und nur zu Besuch im Iran war, wegen „Agitation gegen die Regierung“ und „Beleidigung des Islams“.

Anfangs 2012 bestätigte das Höchste Gericht auch das Todesurteil gegen den IT-Studenten Vahid Asghari und den Website-Administrator Ahmadreza Hashempour.  Die Fünfzehnte Kammer des Revolutionsgerichts teilte auch dem Internet-Entwickler und Komiker Mehdi Alizadeh mit, dass er zum Tode verurteilt worden sei.  

Die vier Internetnutzer, die alle zwischen 25 und 40 Jahren alt sind, sind Opfer einer Säuberungskampagne geworden, die vom, von der Revolutionsgarde 2008 illegal ins Leben gerufenen „Center für die Überwachung des organisierten Verbrechens“ durchgeführt wurde. Unter Folter gestanden die vier Angeklagten, Verbindungen zu Islam und regierungskritischen Websites zu haben und durch die Verbreitung pornografischen Materials die iranische Jugend „in die Irre geführt zu haben“. Sie wurden auch gezwungen zu gestehen, dass sie an einer Verschwörung der USA und Israels gegen den Iran beteiligt waren.

Verhaftungswellen ohne Ende

Die Verhaftungswellen finden oft an Jahrestagen statt, die Unruhen auslösen könnten. Oft gehen sie auch mit internen Konflikten in den Zirkeln der Macht einher. Oder kommen völlig unerwartet, um Dissidenten einzuschüchtern, ihre unabhängigen Publikationen zu vereiteln und ein ständiges Klima der Angst zu schaffen. Die jüngsten Verhaftungswellen fanden im Mai und Juni 2011 anlässlich des Jahrestags der Wiederwahl von Mahmoud Ahmadinedschad statt, so wie anfangs 2012, kurz vor dem Jahrestag der Islamischen Revolution und den Protesten des 14. Februar und 1. März 2012.

Reporter ohne Grenzen zählte 29 Verhaftungen von Internet-Nutzern zwischen dem 1. März 2011 und dem 1. März 2012. Elf von ihnen wurden zu Gefängnisstrafen zwischen drei bis sechs Jahren verurteilt, 15 wurden auf Bewährung freigelassen. Sie warten auf ihren Prozess und das Urteil, mit geringer Hoffnung auf Milde.

Im Februar 2012 wurde Mehdi Khazali, der Sohn eines einflussreichen konservativen Religionsführers zu 4 Jahren Haft verurteilt, da er auf seinem Blog Kritik am iranischen Präsidenten geübt hatte.

Sakhi Righi, der den Blog balochistan-s führt, wurde am 18. Juni 2009 in seiner Heimatstadt Zahedan verhaftet. Er wurde zur höchsten Strafe verurteilt, die jemals gegen einen Blogger im Iran ausgesprochen wurde: 20 Jahre Gefängnis wegen „Veröffentlichung falscher Informationen“ und „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“.  

Unmenschliche Behandlungen im Gefängnis und Repressionen jeglicher Art

Gefangene werden regelmässig misshandelt und gefoltert und durch Diffamierungskampagnen öffentlich blossgestellt und im iranischen Fernsehen zu „Geständnissen“ gezwungen.

Vielen illegal inhaftierten Journalisten und Bloggern wird medizinische Hilfe verweigert, trotz schwerer Krankheit oder psychischen Problemen. Der Gesundheitszustand folgender Gefangener ist besorgniserregend: von Masoud Bastani, Issa Saharkhiz, Mohammad Sadigh Kaboudvand, Hossein Ronaghi Maleki, Saeed Matinepour, Mehdi Mahmudian, Kivan Samimi Behbani und Arash Honarvar Shojai. Ihr Leben ist in Gefahr.

Die iranischen Autoritäten schrecken nicht davor zurück, Familienangehörige oder Verwandte zu schikanieren. Parvin Mokhtare wurde als Mutter des inhaftierten Bloggers Kouhyar Goudarzi durch das Revolutionsgericht in Kerman zu 23 Monaten Gefängnis verurteilt.

Wer auf Bewährung freigelassen wird, ist gezwungen, hohe Summen als Garantie zu hinterlegen. Die Bloggerin und Frauenrechtsaktivistin Parastoo Dokoohaki und die Journalistin Sahamoldin Borghani, die für die News Webseite Irdiplomacy schreibt, wurden Ende Februar 2012 auf Bewährung freigelassen. Nachdem sie im Januar verhaftet worden waren, wurden sie in Isolationshaft in den Sektoren 209 und 2 des Teheraner Evin Gefängnisses festgehalten, die durch die Revolutionsgarden geführt werden. Die Journalistinnen wurden gegen eine Summe von je 300 bzw. 200 Millionen Tomans freigelassen (USD 19,700 und USD 15,800).

Am Tag vor ihrer Freilassung, bezichtigte die „Einheit gegen das organisierte Verbrechen“ der Revolutionsgarden die beiden Frauen auf der Website Gerdab der Kollaboration mit dem Sender BBC, dem britischen Geheimdienst und der Opposition im Exil. Die Revolutionsgarden gaben bekannt, dass eine Operation unter dem Codenamen „Fuchsauge“ zur Aufdeckung des geheimen Netzwerks geführt habe, das Informationen für BBC im Iran sammle. Der britische Sender verneinte jeglichen Auftrag an angebliche Mitarbeiter im Iran. TV Sender, die über Satellit empfangen werden können, wie BBC und Voice of America, werden regelmässig angegriffen. Am 5. März 2012 wurden die öffentlichen „Geständnisse“, vor allem Ausschnitte aus ihren jeweiligen Verhören, vom nationalen TV-Sender und von Press TV, dem englischsprachigen Fernsehsender der Islamischen Republik, ausgestrahlt.

Einige Tage vor dem „internationalen Tag der Frauen“ im März 2012, verstärkte das Regime seine Repressionen gegen iranische Cyber-Feministinnen, unter ihnen Noushin Ahmadi Khorasani, die Gründerin der Website Feminist School und eine der Frauen, welche die „1 Million-Unterschriften-Kampagne“, gegen die gesetzliche Diskriminierung von Frauen im Iran, ins Leben gerufen hatte. Cyber-Frauenrechtsaktivistinnen sind häufig Opfer von Übergriffen und Verhaftungen.

Ein weiteres Zeichen der Unnachsichtigkeit des Regimes war die Verweigerung des Besuchs von Ahmed Shaheed , dem Beauftragten der UNO für den Spezialreport über Menschenrechte im Iran. 

Neue Gesetze legalisieren die iranischen Repressionen

Anlässlich einer Pressekonferenz am 28. Dezember 2011 – dem Tag der Registrierung der Kandidaten für die Parlamentswahlen im März 2012 – veröffentlichte Abdosamad Khoramabadi, der „Legal Advisor“ des Staatsanwalts, eine „Liste von 25 die Wahlen betreffenden Internet-Verbrechen“. Als „Verbrechen“ wurden unter anderen aufgeführt: der Aufruf zum Wahl-Boykott, die Veröffentlichung von Logos der Opposition auf einer Website etc.

Die am 28. Dezember 2011 durch die iranische Internetpolizei erlassenen neuen Regeln für Cybercafés schreiben es den Besitzer vor, ihre Klienten mit einer Identitätskarte zu registrieren. Zudem müssen sie Überwachungs-Kameras installieren und alle Handlungen und besuchten Websites ihrer Klienten registrieren. Die Nutzung von Anti-Filter Software, Virtual Private Networks (VPNs) und USB-Sticks sind verboten. Nach einer Razia in 43 Cybercafés in Birjand, schloss die Polizei sechs davon, wegen „Verstosses gegen die Sicherheitsvorschriften und Nutzung von Software zur Umgehung der Zensur“.

Die Dämonisierung sozialer Netzwerke

Das Regime setzt seine Dämonisierung der neuen Medien fort, indem es behauptet, diese dienten ausländischen Interessen und seien „Mittel zur Subversion“. Am 29. Juni 2011 bezeichnete der Minister für die Nationale Sicherheit, Heydar Moslehi, die Gesellschaft „anfällig für Soziale Medien, die durch die Feinde des Irans“ eingeführt worden waren. Zwei Tage zuvor hatte Innenminister Mostafar Najar verkündet: „Satelliten und Facebook sind die elektronischen Waffen eines „weichen Krieges“ des Westens, der darauf abzielt, die iranischen Familien zu zerstören.“

Die Ankündigung der amerikanischen Regierung im Juni 2011, ein „Schatten-Internet“ oder „ein Internet aus dem Koffer“ zu entwickeln, das Bürgern auf der ganzen Welt ermöglicht, ins World Wide Web zu gelangen – auch wenn eine Regierung den Zugang zum Internet national gesperrt hat – veranlasste das iranische Regime, sofortige Gegenmassnahmen einzuleiten. Die Regierung kündigte an, alles zu tun, um diese neue Technologie zu bekämpfen.

Internetzensur im rasanten Ausbau

Die iranische Regierung investiert riesige Summen in die Zensur des Internets. In den letzten Monaten hat sich herausgestellt, dass ausgeklügelte Software die Überwachung von einem auf den nächsten Computer überträgt. Die Zensoren können ein verdächtiges E-Mail mit der IP-Adresse des Absenders kombinieren. Viele Dissidenten sind sich der grossen Gefahr bewusst, die der kleinste Fehler online für sie bedeutet. Die kleinste Unaufmerksamkeit kann fatale Folgen haben.

Im August 2011 wurden Gmail Nutzer Opfer einer „Mittelsmann-Attacke“, MTM, durch ein gefälschtes SSL (ein Netzwerkprotokoll zur sicheren Übertragung von Daten), das ursprünglich von der Niederländischen Firma DigiNotar stammte, welche die Fälschung auch selbst entdeckte. Agence France-Press zitierte die Sicherheitsfirma F-Secure zum Fall: „Es ist anzunehmen, dass die iranische Regierung diese Technik genutzt hat, um Dissidenten lokal zu überwachen“.

Die Massnahmen der Regierung, die Internet-Verbindungen zu unterbrechen, zu verlangsamen und die Bandbreite einzuschränken, werden immer wieder intensiviert, je nachdem, wie angespannt die Lage im Land ist. Ihr System ist so hochentwickelt, dass sie einzelne Städte oder Quartiere gezielt vom Internet-Zugang abschneiden können.

Während mehrerer Tage im Februar 2012 war es den Zensoren gelungen, den Zugang zu den sicheren „https“-Protokollen zu blockieren, sodass Millionen von Iranern keinen Zugriff mehr auf ihre Gmails und Yahoo Accounts mehr hatten. Auch VPN-Portale wurden blockiert und damit verhindert, dass die Zensur umgangen werden konnte.

Die Zusammenarbeit mit westlichen Firmen

Die vom iranischen Regime ausgeübte Repression stützt sich auf die Hilfe von ausländischen, vor allem westlichen Firmen. Trotz der geltenden Sanktionen der EU und der USA gegen den Iran, gelingt es dem iranischen Regime, durch Scheinfirmen diese Sanktionen zu umgehen. Reporter ohne Grenzen fordert, dass die Gesetze über den Export von Technologie zur Überwachung und Zensur dringend überarbeitet werden. Die Lieferwege müssen viel strenger überwacht werden, damit Diktatoren nicht an Zensur-Software via Drittländer gelangen.

Gemäss der News-Agentur Bloomberg, verkaufte die israelische Computersicherheitsfirma Allot während Jahren Überwachungs-Software, die Mobiltelefon- und Internet-Nutzer lokalisiert, an die dänische Firma RanTek, die sie dann an den Iran lieferte. Die irische Firma Adaptive Mobile Security gab gerade bekannt, dass sie den Verkauf von SMS Filter- und Blockierungs-Systemen an den Iran eingestellt hat.

Das mehrmals angekündigte (und immer wieder verschobene) nationale Internet

Die Sperrung der “https”-Protokolle wird als Generalprobe für die Einführung des nationalen Internets im Iran angesehen, das, abgekoppelt vom World Wide Web, schon für den Frühling 2011 vorgesehen war.

In der heutigen Situation sind alle Iraner, die es nicht wagen oder denen das Wissen fehlt, um das Filtersystem der Zensur zu umgehen, auf die vom Regime zur Verfügung gestellte Version des Internets angewiesen. Das heisst, eine Version, die „gesäubert“ ist von jeglicher politischer, sozialer oder religiöser Kritik. Das nationale Internet ist im Iran also schon seit Jahren Realität, seine Ankündigung dient nur politischer und nationalistischer Propaganda.

Seit Juli 2011 kündigt Kommunikations- und Informationsminister Reza Taqipour Anvari die erste Phase des „Nationalen Internets“ an, das auch „Sauberes Internet“ genannt wird. Während der ersten Phase sollten, laut dem Minister, die Nutzer Zugang zu einer 8Mbps-Speed Breitband-Verbindung haben, die sich dann auf 20Mbps vergrössern werde. Der Iran kündigte auch die Lancierung ihrer eigenen nationalen Suchmaschine an: “Ya Haq” (“Oh nur Eine”). Der Minister bekräftigte, dass das Projekt zum Ziel habe, „nationale E-Mails und Informationen besser mit der Sicherheit des Landes in Einklang zu bringen“. Die Überwachung von E-Mails von regimekritischen Internet-Nutzern wird mit Sicherheit verstärkt werden.

Kann sich das Land ein solches Projekt leisten? Neben den immensen Kosten eines solchen Projekts, muss der Iran mit dem World Wide Web verbunden bleiben, um seine wirtschaftlichen und finanziellen Transaktionen weiter abwickeln zu können. Wir erinnern uns daran, dass die 5-tägige Abkopplung vom Internet in Ägypten im Februar und März 2011 den Staat 90 Millionen US-Dollar gekostet hat. Wird das Regime auf ein Zwei-Klassen-Internet hinsteuern, mit dem Zugang zum World Wide Web für die Regierung, religiöse Führer, die Revolutionsgarden und grosse Firmen und im Gegensatz dazu mit einer grossen Mehrheit der Bevölkerung, die nur Zugang zum zensierten, limitierten Intranet hat? Wenn das der Fall ist, macht sich das Regime einer schwerwiegenden Diskriminierung der eigenen Bevölkerung schuldig – einer realen digitalen Apartheid.

Für weitere Informationen auf Englisch:

http://en.rsf.org